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Predigt über „Die Familie“
(gehalten zu Trinitatis 2009 in Lenzen und Lanz)
Liebe Gemeinde,
nachdem wir in der im Mai begonnenen Predigtreihe „Verwandte – und Bekannte: Geschenk, Aufgabe oder Plage?“ sowohl über Mütter, als auch über Väter, am vergangenen Pfingstfest auch über das „Kind-sein“ gesprochen haben, möchte ich mit ihnen heute über die Gesamtbegriff nachdenken, der - im Normalfall - Mutter-Vater-Kind gleichzeitig meint: die Familie.
Mir ist dabei natürlich bewusst, dass „Familie“ von den Einzelnen sehr unterschiedlich definiert wird. Während die Einen „Familie“ in der erwähnten
klassischen Zusammensetzung Vater-Mutter-Kinder denken, gehört für andere „Familie“ in einen deutlich größeren Horizont, zu dem dann Großeltern, Geschwister der Eltern und Großeltern, deren Kinder usw. usf. dazugehören.
Seit der Wende wird zumindest für uns sichtbar, dass Familie von vielen aber auch in einem noch größeren Horizont gedacht und gesehen wird. Im Internet stösst man auf Seiten von ganzen Familienverbänden, die sich alle durch einen gemeinsamen Familiennamen verbunden fühlen und unentwegt nach neuen Familien gleichen Namens auf der Suche sind und natürlich dabei ebenfalls suchen: wie sind wir durch wen oder welchen gemeinsamen Ursprungsort miteinander verknüpft. Und auf Sizilien hat „die Familie“ noch einen ganz anderen Denk- und Lebenshorizont – aber das sprengt den Rahmen des Themas ja nun doch.
„Familie“ – mir ist dabei auch bewusst, wie unterschiedlich Familie durch den Einzelnen auch erfahren und dadurch dann natürlich auch bewertet wird. Die extremen Positionen: für den einen ist Familie regelrecht Kult, für den anderen ist sie Grund zur Flucht, wenn sie anrückt.
Wie sind ihre persönlichen Erfahrungen? Welche Bewertung geben sie „Familie“ und in welchem Denkrahmen denken sie „Familie“? Löst sie Begeisterung aus, wenn sie sich ansagt oder eher Fluchtinstinkt?
Ich denke, wie ein Mensch „Familie“ erfährt und auf sie reagiert, hängt stark davon ab, ob man innerhalb einer Familie in seiner persönlichen Identität geachtet und geschätzt wird, ob man sich einander in seiner Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit akzeptieren und tolerieren kann oder ob einerseits die Unterwerfung unter den „Familiengedanken“ erwartet wird, entsprechend einem Familienkodex, bei dem man eben nicht so genau weiß, wozu er dient, außer da zu sein und andererseits die Familienverbundenheit und -gebundenheit dazu missbraucht, Macht über andere auszuüben.
Wie erfahre ich Familie? Wenn ein erwachsener Mensch seine erste spontane Reaktion auf diese Frage meditiert, wird er früher oder später merken, dass er heute so auf Familie reagiert, wie er sie früher als Kind und Jugendlicher erfahren hat (oft sogar unbewusst – denn auch das wirkt in einem Menschen) und dementsprechend fällt die Reaktion begeistert, verhalten oder ablehnend aus. Und aus diesem Blickwinkel erklärt sich dann auch, warum das Leben in Familien – auch im größeren Denkrahmen - so unterschiedlich gelingt bzw. nicht gelingt.
Was finden wir in der Bibel für Erfahrungen und Schwerpunkte zu dieser FamilienFrage, hat Gott für das Leben in Familien Eckpunkte gesetzt, die zum Gelingen oder Nicht-Gelingen eines Familienlebens beitragen?
Bei der Suche nach einer Antwort erwarten uns einige Überraschungen.
Überraschung Nr. 1: Den Begriff „Familie“, wie wir ihn heute verstehen, gibt es nicht. An den nur 6 Stellen in der Bibel, an denen Luther das hebräische bzw. griechische Wort mit „Familie“ übersetzt, übersetzen die meisten anderen Bibelübersetzer mit dem Wort „Haus“.
Dahinter steht die sozialgeschichtliche Tatsache, dass zur Familie eben nicht nur Vater-Mutter-Kind gehörten, sondern auch die alten Eltern, alt gewordene – manchmal nicht verheiratete alte Geschwister der Eltern und andere Familienmitglieder (wir müssen bedenken wir sind mit der Suche in der Bibel im Orient und seinem großen und lebensbestimmenden Familienverständnis) – aber zum „Haus“ gehörten auch, vor allem dann im neutestamentlichen Rahmen Bedienstete, Knechte, Mägde, Sklaven usw.
D.h. für unsere Überlegungen, wenn die Bibel zwar nicht verbal, aber inhaltlich von Familie spricht, meint sie immer die große Gemeinschaft von Menschen, die gemeinsam in einem Haus, aufeinander bezogen wohnt, lebt und arbeitet und in verpflichtender gegenseitiger Fürsorge steht.
Überraschung Nr. 2: und das ist sicher zunächst erst einmal befremdlich und muss – bei der heutigen hochangesiedelten Bedeutung von Familie - verdaut werden: Jesus hat dem ausschließlichen Familiengedanken eine klare Absage erteilt.
Dafür stehen zwei Schlüsselszenen: Die eine recht hart anmutende Szene haben sie vorhin als Evangelienlesung gehört. Jesus wird von seiner Mutter und seinen Brüdern gesucht, gefunden und dann merkwürdig brüskiert: „Wer sind meine Mutter und meine Brüder?“ Und in dem er auf alle Umstehenden zeigt und sagt: „Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter.“
Jesus definiert Familie also ganz klar im Blick auf den Glaubens- und Gottesbezug.
Diese Tendenz ist bei Jesus schon von Anfang an zu erkennen. Erinnern sie sich an die Geschichte vom 12jährigen Jesus, der auf der Rückreise nach einer Pilgerfahrt seiner Eltern von Jerusalem spurlos verschwindet und nach einigen Kalamitäten finden die Eltern ihn im Tempel und bekommen zu hören: „Wisst ihr denn nicht, dass ich in meines Vaters Hause sein muss?“
Das ist ebenfalls eine klare Ansage im Blick auf das Familienverständnis – erst kommt der Bezug zu Gott, der ist der Vater und dorthin gehört er und dann kommt die menschliche Familie, die für Jesus natürlich auch ihren Wert hat und das zeigt, das er anschließend an die Tempelszene gehorsam und willig mit seinen Eltern nach Nazareth zurückkehrt.
Interessant ist an diesen beiden Szenen, dass hier Entscheidungssituationen ins Blickfeld gerückt werden, nicht der normale Familienalltag. In der einen Szene predigte Jesus grade, als die Familie anrückte und er musste entscheiden: sie oder Gott. In der anderen Szene setzte er sich im Tempel mit dem Wort Gottes auseinander als die Eltern angelärmt kamen: wieder die Entscheidung, die allerdings nur verbal zur Sprache kommt (denn er geht ja dann mit den Eltern mit), aber doch deutlich: nicht sie spielen die erste Geige in seinem Leben, sondern Gott.
Wie sieht das im heutigen Leben von uns Christen aus, wenn z.B. die Familie zum Großeinsatz im Familienleben anrückt, bei Feiern, Festen usw.? Ist es da nicht genau andersrum? Dass die Familie die erste Geige spielt und wenn sie wieder weg ist, dann darf Gott wieder zum Zuge kommen?
Auch das sind Entscheidungssituationen, die dann erweisen, ob wir den Anspruch Gottes verstanden haben und die dann auch zeigen, ob wir die Chance gesehen
haben, von unserem eigenen Glauben Zeugnis abzugeben – auch vor einer vielleicht „heidnischen“ Familie.
Es geht nicht darum, den Heiden in der Familie zu zeigen, wo’s hier langgeht, sondern es geht darum zu zeigen, dass Gott, die Begegnung mit Gott, mein persönlicher Hauptschwerpunkt ist, dem ich auch Familienansprüche unterordne.
Jesus schickt ja die Familie und die Eltern in den beiden genannten Szenen nicht weg, sondern er demonstriert seine Rangfolge: erst Gott und dann die Familie.
Welche Möglichkeiten ich selbst habe, Zeugnis von meinem Glauben und meinen Schwerpunkten zu geben, auch innerhalb meiner Familie, zeigt Apostelgeschichte 16, 31, wo geschrieben steht:
“Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus (wieder: das Haus) selig.“
Wissen sie, was das für eine Verheißung ist? Dass durch meinen Glauben an Jesus, durch meine Schwerpunkte, die ich im Alltag und bei Familienfesten setze und zeige, das ganze Haus, die ganze Familie selig wird?
Das ist natürlich kein Automatismus, aber es verheißt, dass es nicht wirkungslos bleibt – zuallererst in der Familie – wenn ich selbst meinen eigenen persönlichen Glauben an Jesus bewusst und in Entscheidungssituationen deutlich und klar lebe.
Der Zusammenhang ist mir auch einleuchtend: denn wenn ich als - sagen wir mal „heidnischer“ Onkel in der Familie - sehe, dass der Glauben zweitrangig wird, wenn’s ums Mittagessen geht, dann muss so ein Glauben ja nicht besonders schwer schwiegen.
Wenn ich als „heidnischer“ Onkel aber erlebe, wie wichtig der Glaube an Jesus den anderen Familienmitgliedern ist und das auch den Ablauf und die Gestaltung eines Familienbesuches prägt, vielleicht sogar inclusive Gottesdienstbesuch, dann habe ich zumindest Achtung vor dem Glauben der anderen und sehe das Gewicht, dass der Glaube für andere haben kann.
Sie sehen daran, wie Jesus Familie und Glaube fest aneinander bindet, nicht als ein kategorisches Muss, sondern in einer Verheißung, die in Entscheidungssituationen wirksam werden kann.
So auch heute, wie in den anderen Gottesdiensten zu diesem Thema, drei Impulse zum eigenen Reflektieren und Nachdenken:
1. Wie habe ich Familie erlebt? Ist sie mir nah oder kann sie mir gestohlen bleiben? Warum ist das so? Gibt es vielleicht Schlüsselerlebnisse, die mein heutiges Verständnis und emotionales Erleben von Familie beeinflussen? Welche Schlussfolgerungen ziehe ich für mein Leben daraus und vor allem …
2. Wie kann ich mit diesen Erfahrungen dazu beitragen, dass Familie für meine Kinder, Schwiegerkinder und Enkel und Gäste zu einem Ort wird, an dem jeder angenommen ist, wie er ist, an dem jeder in seiner ganzen persönlichen Identität und Eigenständigkeit da sein darf, wie sie ihm Gott geschenkt hat.
3. Vielleicht für die Zukunft ihrer Familie wichtigste Impuls:
Wie klar erlebt meine Familie, die Gäste meiner Familie, mein ganzes „Haus“ meine persönliche Bindung an Jesus Christus, nicht nur allgemein und im Prinzip, sondern in alltäglichen und all-festlichen Entscheidungssituationen? Wie frei bin ich, angesichts anderer Familienforderungen, meinen Schwerpunkt Glauben, Gott unbeirrbar zu leben oder lasse ich meinen Glauben schnell hinter mich, wenn die Familie ruft, die Küche ruft, der Tagesrhythmus ruft?
Bin ich mir bewusst, dass ich dadurch dass „selig werden“ meiner Familie, meines Hauses aufs Spiel setze?
Ich wünsche ihnen einen nachdenklichen und ehrlichen Sonntag. Amen.