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Predigtreihe „Verwandte und Bekannte – Plage, Aufgabe oder Geschenk?“
Predigt über „Die Mütter“
(gehalten am 10. Mai 2009 in Lanz, Lenzen und Wustrow)
Liebe Gemeinde!
Jeder Mensch hat von Gott seine persönliche Identität und seinen persönlichen Rahmen für das Leben bekommen.
Zur persönlichen Identität eines Menschen gehört sein Aussehen, seine Identität als Mann oder Frau, seine Fähigkeiten, egal ob im handwerklichen Bereich oder im denkerischen Bereich oder im Bereich des Fühlens und je nachdem wird dann auch eine Berufswahl getroffen.
Zur Identität eines Menschen gehören auch seine Nationalität und seine Sprache, der Ort und die Landschaft seiner Herkunft, die ihn in ihrer typischen Ausstrahlung auch prägen. Ein Sachse ist z.B. in Sprache und Mentalität was ganz andres als ein Ostfriese und ein Bayer ist in seiner Mentalität völlig anders als ein Eskimo.
Und jeder einzelne Mensch ist in seiner Identität auch geprägt durch Menschen, durch seine Herkunftsfamilie, durch Freundeskreise, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Arbeitskollegen usw. usf.
Gott hat den Menschen als soziales Wesen geschaffen, der Beziehungen aufbauen und abbrechen kann, dessen Lebenszeit hauptsächlich von Beziehungen zu anderen Menschen geprägt ist (netten und nicht so netten, aber Beziehung ist Beziehung), der emotional angewiesen ist, auf Zuwendung, Kontakt, miteinander reden usw.usf..
An Gott, Jesus und dem Heiligen Geist können wir erkennen, dass Beziehung eine elementare göttliche Daseinsform ist.
Wir bekennen die Gemeinschaft von Gott, dem Vater und Schöpfer, von Jesus Christus, dem Sohn und vom Hl. Geist – also selbst Gott ist Gemeinschaft und Beziehung pur.
Dazu zeigt ein Blick auf Jesus ebenfalls die Bedeutung von Beziehung und Gemeinschaft … die Sammlung von Jüngern um sich, ist auch bei ihm mehr als nur eine gelegentliche Idee um nicht allein sein zu müssen.
Insofern ist die Frage dran: welche Bedeutung misst eigentlich Gott den Menschen bei, in deren Mitte und Gemeinschaft ich hineingestellt bin?
Nehme ich die Bedeutung dieser speziellen Menschen im Blick auf mich wahr, gleich ob sie jetzt zur Familie gehören, in den Kreis der Arbeitskollegen oder auch in den Kreis der Menschen in der Gemeinde.
Haben sie sich schon mal gefragt, warum lebe ich grade hier? Warum hat mich Gott mit meinen Gaben und Fähigkeiten ausgerechnet hierher gesetzt? Warum hat mir Gott ausgerechnet diesen Ehepartner gegeben? Diese Familie?
Aus diesem Blickwinkel ist es interessant zu schauen, mit welchem Focus eigentlich die Bibel bestimmte Menschen wahrnimmt und von ihnen erzählt.
Dass ich mit der „Mutter“ anfange liegt auf der Hand – wir haben heute Muttertag.
Jeder von uns hat eine Mutter und einige unter uns sind Mütter. Die Mutter ist für einen Menschen zunächst die elementare Bezugsperson für den Einstand ins Leben. Nicht umsonst heißt es: Muttersprache.
Wie haben sie ihre Mutter erlebt? Welche Rolle geben sie ihr und spielt sie in ihrem Leben? Eine gute, eine enttäuschende, eine distanzierte?
Ich will damit sagen: Normalerweise ist das Wort „Mutter“ positiv gefüllt … aber es gibt auch andere Erfahrungen: Mütter, die sich verweigern, die ihr Kind abtreiben, die es in die Babyklappe schieben, die es verhungern lassen, die es vernachlässigen – wir haben all die schrecklichen Geschichten und Statistiken vor allem der letzten Jahre vor Augen.
Denen gegenüber stehen die Mütter, die an den Gräbern ihrer Kinder stehen müssen, an kleinen Gräbern, an großen Gräbern, Mütter, die in den Kriegs- und Nachkriegsjahren vergeblich auf die Rückkehr ihrer Söhne gehofft und gewartet haben und die nie erfahren haben, wo ihre Jungs geblieben sind.
Das Extrem gegensätzliche in den Wahrnehmungen von Muttersein ist dabei kaum auszuhalten.
Und zwischendrin im „Normalen“ hat jeder Mensch seine persönliche Erfahrung mit dem Mutter-sein der eigenen Mutter und für die Frauen das eigene Mutter sein und für uns Männer, dem Mutter-sein unserer Ehefrauen.
Welchen Blick hat die Bibel? Was berichtet sie uns von Müttern? Gibt es Klassifizierungen oder Regeln, wie eine Mutter zu sein hat oder Realitäten des Mensch-und-Mutter-seins, auf die sie uns aufmerksam macht? Oder Hinweise wie Menschen mit ihrer Mutter umgehen sollen, sie behandeln sollen? Oder wie überhaupt die Beziehung Mensch-Mutter zu sehen ist?
Als ich bei meinen ersten gedanklichen Überlegungen zum Thema meine Frau fragte, woran sie zuerst denkt beim Thema: „Bibel und Mutter“ sagte sie: Mütter haben eigentlich gar keine Zeit und Ruhe, sich mit der Bibel zu befassen.
Darauf war ich nun gar nicht gefasst, aber es spiegelt doch etwas von der Situation wieder: Hingabe an oder in diese Rolle, sie nimmt den ganzen Platz im Leben ein.
In der Hl. Schrift finden wir sehr unterschiedliche Muttertypen, vor allem im Alten Testament werden uns Mütter in schonungsloser Ehrlichkeit präsentiert.
Da sind die halbkriminellen Mütter. sie erinnern sich an Esau und Jakob. Die Mutter der Beiden stiftet ihren jüngeren Sohn Jakob zum Erbbetrug an, weil sie ihn lieber hat.
Eine Muttererfahrung auch heutiger Menschen, dass Mütter manchmal Unterschiede machen in der Liebe und Gerechtigkeit zwischen ihren Kindern.
Dann Sara, die Frau von Abraham, die den Sohn der Nebenfrau – damals war das ja noch üblich – samt dessen Mutter in die Wüste vertrieb, weil sie Konkurrenz zu ihrem eigenen Sohn fürchtete.
Denken sie an die Geschichte der beiden Mütter vor König Salomo zurück, auf die der Begriff „salomonisches Urteil“ zurückgeht:
Die eine hatte ihr Kind beim Schlafen totgeqetscht und sich dann schnell das Kind der andren gegriffen und es als ihr Kind ausgegeben. Dieser dann entstehende bestimmt sehr laustarke Mütterkrieg (wir sind ja im Orient) kam vor den König.
Heute hätte man einen Blut- oder Gentest gemacht und die Sache war geklärt. Aber ca. 900 v. Chr. gab es noch keinen Gentest. Was sagt der König in seiner Weisheit – und er wusste ganz genau wie die echte Mutter reagieren würde. Er sagte: „Okay, wir halbieren das Kind, die eine kriegt die obere Hälfte und die andere die untere Hälfte.“
Eine echte Mutter verzichtet, wenn es um das Leben des Kindes geht. Und so war es auch und daran erkannte der König die richtige Mutter und sprach ihr das Kind zu.
Wir finden neben den konkreten Beispielen von Muttergeschichten aber auch das dringende Anliegen, die Mutter nicht zu verletzen:
Sprüche 10,1: „Ein törichter Sohn ist der Kummer seiner Mutter.“ Ebenfalls in den Sprüchen: „Ein törichter Sohn verachtet seine Mutter.“ und „Ein törichter Sohn ist Gram für seine Mutter.“ und in Sprüche 23,22 „Verachte deine Mutter nicht, wenn sie alt geworden ist.“
Hier schwingt der Generationenkonflikt mit, den es auch damals schon gegeben hat. Auch wenn die alt gewordene Mutter vergesslich geworden ist und sie manchmal merkwürdige Dinge macht, wenn der Geist Probleme bereitet und die Gedanken sich immer mehr von der Wirklichkeit entfernen – auch dann hat sie ein Recht auf Achtung.
Sicher ist das nicht immer einfach, aber es tut uns jüngeren gut, daran zu denken – das dauert gar nicht mehr lange und wir schüppern auch mit dem Rollator durch die Gegend. Wie möchten wir dann behandelt werden? Die Antwort ist dann auch die Antwort, auf die Frage: Wie möchte unsere alte Mutter behandelt werden.
An zwei Situationen im Leben Jesu wird der besondere Schutz, den eine Mutter braucht, sichtbar. Sicher ist für damalige Zeiten die besondere gesellschaftliche Schutzlosigkeit einer alten Mutter im Blick, aber sie zeigen uns auch den Rang, den Jesus dieser Frage beimisst.
Es ist einmal die Begegnung Jesu mit einer Witwe, die ihren eben verstorbenen Sohn aus der Stadt Nain zum Friedhof begleitet. Vom Leid und den Tränen dieser Mutter – so übersetzt die Elberfelder Studienbibel – wird Jesus „innerlich bewegt“, so dass er dem toten Sohn in seiner göttlichen Macht das Leben zurückgibt.
Der Sohn war in der antiken Zeit die Gewährleistung, dass eine Mutter ein würdevolles und gesichertes Alter haben konnte, denn Sozialsysteme gab es damals noch nicht.
Und das ist der gleiche Grund, warum Jesus schon am Kreuz hängend, seinen Lieblingsjünger Johannes und seine Mutter Maria einander anvertraut, fast in einer Art gegenseitiger Adoption.
Liebe Gemeinde, sie sehen an diesem recht breiten Spektrum, wie verschieden die Bibel „Mütter“ wahrnimmt.
Sie sieht Mütter, ihre Schwächen und Fehler, realistisch und ohne familienideologische Überhöhung.
Und doch räumt sie ihnen eine hohe Stellung ein, die sich aber nicht über Macht und Hierarchie definiert, sondern über Fürsorge und Schutz.
Nehmen sie in den heutigen Muttertagssonntag drei Fragenkreise mit nach Hause zum Nachdenken:
1. Wofür möchte ich meiner Mutter danken? Egal ob sie noch lebt oder nicht, sagen sie Gott ihren Dank – er wird schon dafür sorgen, dass er ankommt.
Dazu gehört aber auch: was habe ich ihr zu vergeben? Und gibt es etwas, für das ich um Vergebung zu bitten habe – auch das kann über Gott gehen.
2. Wie setze ich Fürsorge und Schutz für meine Mutter um, nicht nur in der äußeren Versorgung, sondern auch in der seelischen Versorgung, wann habe ich sie das letzte Mal in den Arm genommen und ihr gesagt; wie wichtig sie für mich ist? Auch das gehört zur inneren Fürsorge für die Mütter.
3. Diejenigen, dessen Mütter nicht mehr leben könnten sich fragen: Welches Bild von meiner Mutter pflege ich in meiner Erinnerung? Ein liebevolles und doch realistisches Bild gleichzeitig oder ein überhöhtes, idealisiertes Bild, dass heute noch ungute Macht über mich ausübt?
3. Für die Frauen unter uns. Was für eine Mutter bin oder war ich? (Ich weiß, die Väter fühlen sich jetzt etwas außen vor – dafür kommen sie am nächsten Sonntag etwas mehr zur Geltung .. )
Haben meine Kinder auch innere Fürsorge erlebt oder nur äußere Fürsorge?
Haben sie durch die Erziehung meine Liebe gespürt oder nur mein Bedürfnis nach Ordnung und Regeln? Konnte ich ihnen Gott als Lebensbezug und Zufluchtsort vermitteln?
Konnte ich sie loslassen und ihr eigenes Leben gehen lassen, ohne das Interesse an ihnen zu verlieren? Konnte ich akzeptieren, dass sie andere Wege gehen, als ich selbst gegangen wäre und bin?
So wünsche ich ihnen heute einen dankbaren und nachdenklichen Muttertag unter Gottes Nähe. Amen.